One day baby we will be old, Part II

Sieht die Welt eigentlich anders aus, wenn man alt ist? Und was heißt eigentlich „Altsein“? Meine Oma zum Beispiel hat immer gesagt, sie sei „Mittelalt“, dabei war sie zu diesem Zeitpunkt schon über siebzig Jahre alt. Ich habe großen Respekt vor älteren Menschen. Manchmal muss ich schmunzeln, wenn ich dem Klatsch und Tratsch ältere Menschen im Bus  lausche. Von Zeit zu Zeit bin ich aber auch tief berührt, wenn ich in der Hektik des Lebens, in der vollgestopften und rüden City mit ihrem unwegsamen und überlaufendem Straßennetz Menschen beobachte, die sich tippelnd fortbewegen und mit großen, machmal auch ängstlichen Blicken das Gewusel um sie herum beobachten und aufpassen müssen, dass sie im Verkehrschaos nicht unter gehen oder einfach über den Haufen gefahren werden.

Natürlich gibt auch es regelrecht todesmutige Exemplare, die ohne nach links und rechts zu schauen einfach über die Straße laufen. Dann halte ich verdeckt hinter meinem Schal den Atem an und hoffe, dass nur sehr aufmerksame und achtsame Menschen auf den Straßen unterwegs sind und niemand verbotener Weise während des Autofahrens mit seinem Handy zu Gange ist.

Die Zeit, das Leben und die Kulissen sind im städtischen Bild durch junge, energiegeladene Artisten geprägt, die multitaskingfähig auf dem Fahrrad Termine mit dem Headset koordinieren oder philosophische Fragen erörtern, während sie sich ein Wettrennen mit dem tickenden Zeiger der Uhr leisten. Wo bleibt da der Raum fürs Älterwerden? Wo ist der Platzt für Langsamkeit, die Erinnerungen und Erfahrungen?Kann es diese Momente in der heutigen Zeit überhaupt noch geben?

Wenn ich an einem Pflegeheim vorbeilaufe, dann weiß ich, dass hinter verschlossenen Türen das Alter wartet. Es hat keine Eile, aber es wartet und bewegt sich nicht vom Fleck. Auf jeden von uns, ganz gleich wie erfolgreich wir diese Tatsache verdrängen, wartet es.

Manchmal ertappe ich mich dabei, besser gesagt frage ich mich, was meine Kinder, die nächsten Generationen von dem Leben halten werden, das wir heute führen. Ob sie dann auch milde lächeln werden? Sie werden es kaum glauben können, dass es heute noch möglich ist, Überweisungen in einen Postschlitz einer Bankfiliale zu werfen oder im Bus mit Kleingeld zu bezahlen.

Was wird sein in 30 Jahren? Was werde ich dann noch von dieser Welt verstehen? Diese Gedanken führen dann wieder zum Ausgangspunkt, dem Respekt vor den älteren Menschen heute, die ein ganz anderes Land, einen europäischen Kontinent ohne Europa und eine Welt kannten, sehr gut sogar, in der es kein Internet gab, in der das Leben analog verlief und sich der Fortschritt dennoch beständig seinen Weg bahnte.

 

Viele Gesichter

„Irgendwas, das bleibt!“ ist gerade ein Song, der mich zum Nachdenken bringt. Denn er beschäftigt sich unverhohlen mit unserer Generation und trifft damit auch mich und mein Leben mitten ins Herz. Und das ist gar nicht so einfach zuzugeben, wie es auf den ersten Blick scheint, denn schließlich geht es darum, dass wir immer mehr wollen und nie zufrieden sein können mit dem, was wir haben und alle stets auf der Suche sind. Darum auch die Beteuerung des Wunsches nach jemandem oder etwas, das bleibt.

Das Streben nach Glückseligkeit, nach Zufriedenheit gestaltet sich sicher schwierig, wenn wir gar nicht (mehr) wissen, wonach wir eigentlich suchen. Wir sind alle in einer Welt aufgewachsen, die uns alles geboten hat, wovon Menschen träumen dürfen: Wohlstand, Frieden und Sicherheit sowie die Aussicht darauf, dass alles möglich ist. Egal ob wir in den Bereich der Innovation in Technik und Wissenschaft schauen oder aber in den persönlichen, kreativen Bereich und dort einen Blick auf Lebensmodelle und Lebensvorstellungen werfen oder aber auf das so hoch gelobte und geachtete Projekt namens Selbstverwirklichung. Alle Türen stehen uns offen. Doch was bleibt am Ende? Diese Frage ist eine der ersten Fragen, die gestellt wird, wenn es um den Sinn des Lebens geht. Um das, was wir hinterlassen und auf das wir am Ende unserer Tage zurückblicken können. Der betreffende Maßstab ist in der Postmoderne etwas aus den Fugen geraten. Es sind nicht mehr Tugenden wie Fleiß, Treue oder Selbstlosigkeit, die uns glauben machen können, dass wir ein gutes und sinnvolles Leben geführt haben. Ganz im Gegenteil. Es ist das sich Widersetzen gegen Autoritäten und Systeme, gegen Tradition und Reaktionismus. Es handelt sich, wie so häufig, um das rebellische Aufbegehren gegen die Generation der Eltern. Also ist das, was wir, die wir Anfang oder auch Mitte dreißig sind, als Errungenschaft betrachten oder aber als Sieg über Feminismus, gesellschaftliche Konventionen und menschliche Grenzen gar nicht so neu und noch nie dagewesen, wie wir das vielleicht gerne hätten.

Im Gegenteil, es handelt sich um den Gang der Dinge, um den Lauf der Geschichte, schlicht, um einen Generationenwechsel, der sich in diesen soziologischen Verhaltensmustern manifestiert. Das ändert natürlich auf der anderen Seite nichts an unserem Lebensgefühl, das sich durch Individualismus und Freiheit sowie Ungebundenheit auszeichnet.

Jetzt komme ich langsam zum Punkt. Ich persönlich halte ja wenig von Stigmata, egal in welchem Bereich. Darum amüsiere ich mich auch stillschweigend über das viel diskutierte Etikett „beziehunsgunfähig“, das unserer Generation so gerne zugeschrieben wird. Woher dieses generalisierte Unvermögen kommt, habe ich gerade schon beschrieben. Wir haben uns frei gemacht von allen gesellschaftlichen Grenzen und Zwängen. Das ist einerseits gut und andererseits schlecht. Diese Entwicklung war wichtig, weil sie uns den Perspektivwechsel erleichtert und wir so im Stande sind, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und jegliche andere Art der Diffamierung vermeintlich anormaler Menschen oder Minderheiten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Damit haben wir in Punkto Menschlichkeit einen großen Schritt gemacht.

Aber der Schein trügt. In den letzten Jahren haben sich nämlich die Rahmenbedingungen unseres Lebens stark geändert. Wir erliegen nun nicht mehr der Fehlannahme, dass Sicherheit und Frieden selbstverständlich und gegeben sind. Wieder ganz im Gegenteil, wir erleben gerade ein böses Erwachen. Ich könnte jetzt auf zahlreiche innen- und außenpolitische Ereignisse und Gegebenheiten hinweisen, auf die ich mir hier beziehe, aber ich denke, jeder weiß, dass wir sehenden Auges zulassen, dass die Menschenrechte und die Demokratie, für die Generationen von Menschen vor uns gekämpft und ihr Leben gelassen haben, stillschweigend untergehen.

Wir haben uns also auf gesellschaftlicher Ebene frei gekämpft von der Last der Erwartungen und Konventionen, damit WIR wir selbst sein können. Aber in einer Zeit, in der die Welt erneut ins Wanken gerät, brauchen wir, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, Strukturen und Muster sowie Anhaltspunkte, die uns Halt geben. Ergo wir brauchen Orientierung. Wer oder was liefert Orientierung: Tradition, Autoritäten, Erfahrung und Geschichte. Alles Dinge, die wir aus unserem Alltag und unserer Selbstbestimmung verbannt haben.

Also: Was bleibt am Ende? Vielleicht müssen wir die Frage anders stellen. Was bleibt für den Anfang? Wir suchen nach Sinn und Orientierung, wir suchen nach etwas, das uns Halt gibt. Eventuell sollten wir unsere Eltern oder Großeltern fragen, was sie bewirkt haben, als sie unsere Welt wieder zu einer sicheren Welt gemacht und aufgebaut haben, was wir mit einer Handbewegung milde lächelnd wegwischen. Denn unsere Unabhängigkeit und unsere Toleranz kommen nicht von ungefähr. Es war vermutlich harte Arbeit, die Gesellschaft zu schaffen, die wir heute Heimat nennen.

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen und auch ich habe keine Ahnung, wie man ihnen am besten begegnet. Aber eines ist für mich klar. Wir haben jetzt die Aufgabe, dieses „Irgendwas“ zu definieren. Wir müssen uns gemeinsam darüber Gedanken machen, wie die Welt aussehen soll, in der wir alle zusammen unser selbstbestimmtes Leben führen wollen.