Aus gegebenem Anlass

Was bringt dir dein Leiden. Ein weiser Satz. Der zuerst völlig paradox erscheint, denn leiden zu müssen, sucht sich sicher niemand aus. Leid wird erfahren, wird zugefügt oder hält das Schicksal bereit. Verständlicher wird der Satz für meine Begriffe erst dann, wenn man Leid von Traurigkeit trennt. Denn diese folgt aus dem Leiden. Über unsere Gefühle haben wir keinerlei Kontrolle, egal wie rational wir veranlagt sind oder wie erfahren wir im Umgang mit Gefühlen sein mögen. Die Gewalt der Gefühle macht ihr Wesen aus, im Glück und in der Trauer.

Was wir allerdings entscheiden können ist Leiden zu beenden. Wir können das Leiden anderer mildern durch Anteilnahme und Trost und Gegenwart. So können wir auch unser eigenes Leiden mildern und schließlich beenden, wenn wir dieses Leid aus einer anderen Perspektive betrachten. Denn die Gestalt des Etiketts dessen, was uns widerfährt und was daraus resultiert und was dies mit uns macht, die entscheiden wir selbst. Es liegt an uns, unser Selbstkonzept zu überdenken, uns zu entscheiden, wer wir sein wollen und wie wir uns selbst sehen und damit bestimmen wir ein Stück weit auch, wie andere Menschen uns wahrnehmen. Auf diese Weise haben wir die Chance, die Kontrolle zurückzugewinnen. Stück für Stück. Aus dieser Einsicht erwachsen auch neue Möglichkeiten. Wir gewinnen Vertrauen und Sicherheit zurück, wenn wir erkennen, dass wir, egal wie alt wir sind, uns in einer stetigen Entwicklung befinden. Wir treffen Entscheidungen, wir sprechen Dinge aus, wir handeln und wir treten auf. Über all diese Facetten unseres Seins haben wir die Kontrolle, wenn wir bewusst leben. Sicher hat auch diese recht analytische Sicht der Psyche ihre Grenzen, weil wir nicht immer stark sind und weil wir uns nicht immer über jede Sekunde unseres Daseins bewusst sind. Aber an einem Scheideweg haben wir dennoch die Chance, genau diese Erkenntnis einzusetzen und zu wählen, welches Etikett, welche Selbstwahrnehmung, welchen Teil unserer Persönlichkeit wir herausstellen wollen.

Wir schreiben uns ständig zu, wer wir sind und wie wir sein wollen. In jeder unserer sozialen Rollen, in jeder Prüfungssituation und in jedem Gespräch, das an die Substanz geht. Sicherlich brauchen wir Fixpunkte und Kerne unseres Selbstverständnisses, derer wir uns sicher sein können, die gut und schlecht sind, damit wir reflektiert bleiben können. Aber wir dürfen darüber nicht vergessen, dass auch Erwachsene das Recht haben zu entscheiden, wer sie sein wollen. Vielleicht verlieren wir nach der Kindheit und der Pubertät die Motivation, uns immer wieder neu zu erfinden oder ermüden anlässlich der Energie, die es kostet, sich selbst zu hinterfragen und richten uns deshalb in der Fremdwahrnehmung ein, die ja häufig positiv ist, denn Familie, Freunde und Kollegen schätzen uns für unsere Stabilität, unsere Berechenbarkeit und unsere Verlässlichkeit. Erst wenn wir Grenzerfahrungen machen, werden wir geweckt, das Selbst wird bis ins tiefste Mark erschüttert. Genau an dieser Stelle wünsche ich mir, dass wir alle den Mut besitzen, uns auf Neues einzulassen und Altes hinter uns zu lassen.

Ich kann mich jetzt als die Verschmähte betrachten, als die Ausgenutzte, als die, auf deren Herz herumgetrampelt worden ist und die all dies ohne Widerrede oder Widerstand hat über sich ergehen lassen und nun leidet.

Oder ich kann die vergangenen Monate als Erfahrung betrachten, die mich wieder ein Stück weiter gebracht hat, vor allem im Hinblick darauf, welche Menschen in meinem Leben einen Wert besitzen und welche nicht und was vielleicht am wichtigsten ist: Ich bin dem Rätsel ein wenig näher gekommen, wie ich eben dies herausfinde und was mich glücklich macht.

Also lieber …, danke für nichts, außer dem Anstoß zur Selbsterkenntnis.