Happier

Eines Morgens wachte sie auf, indem die Sonne ihre Strahlen auf ihrem Gesicht verteilte. Wenn nicht die einfach verglasten Fensterscheiben zwischen ihnen gestanden hätten, hätte sie auch die verlockende Wärme der ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages auf ihrer Haut spüren können. Die Nacht war kurz gewesen, der Abend dafür lang und ihr Kopf lag schwer auf dem Kissen. In der linken Kopfhälfte, direkt über dem Ohr, pochte ein gleichmäßiger Schmerz. Wenn sie den Kopf in Richtung der rechte Seite drehte, nahm der Schmerz weiter zu, bäumte sich auf und strahlte auf den gesamten Vorderkopf aus. Sie hob ihre Arme vorsichtig über ihren Kopf und bettete diesen dann nach einem Strecken der Glieder, das von einem Gähnen begleitet wurde, auf ihre Handflächen, während sie sich wieder auf die linke Seite drehte. So war es besser.

Trotz des Katers fühlte sie sich befreit. Alles lag kilometerweise hinter ihr, sie hatte Abstand zwischen sich und ihr Leben gebracht. Die Flasche Merlot hatte ihr übriges dazugetan und nun konnte der neue Tag im Nebel der noch immer leicht betäubten Sinne beginnen. Wir betäuben uns jeden Tag, dachte sie, weil wir das Leben betrügen, indem wir so tun, als sei der Stress, die Termine, die knapp getimeten Zeit-Slots das normalste der Welt. So, als hätten es nie eine andere Alternative zu dieser Art zu leben gegeben. Es schien, als ob die Beschleunigung durch Technik in Industrie und Verkehrswesen dem Alltag das Recht verwehrt hätte, Ruhe zu bewahren und den Menschen mit Muße und Bedacht durch ihr Leben zu gehen.

Wer hatte das angeordnet? Wann war dieses Lebensmodell nicht mehr aufzuhalten gewesen? Die Menschheit hatte begonnen zu erkennen, dass die Art und Weise, wie sie lebte und auf unserem Planeten hauste, kein gutes Ende nehmen würde. Es war höchste Zeit, keine Frage. Aber was war mit uns? Was war mit ihr? Welches Erbe über einen angemessenen Umgang mit sich selbst wollten wir den nächsten Generationen mit auf den Weg geben?

Statistisch betrachtet leben die Menschen heute deutlich länger als noch vor hundert Jahren. Aber wie sah es aus mit der Qualität des Lebens? Hier würde ein schlauer Fuchs vermutlich antworten, dass auch der Lebensstandard – zumindest in weiten Teilen der Erde – deutlich zugenommen hat und weiterhin stabil anwächst.

Schön und gut – überlegte sie – nur zu welchem Preis? Dass es den Menschen wirtschaftlich täglich besser erging, lag daran, dass jeder Erwachsene durchschnittlich knapp fünfzig Jahre arbeitete. Sie wollte nicht falsch verstanden werden. Das Leben, dass wir führen dürfen, ist ein sicheres, was immer noch für viele Menschen eine Traumvorstellung darstellt. Sie konnte gut verstehen, dass sich tausende Geflüchtete auf den Weg nach Europa machten und sie sah es als ihre Pflicht an, als die Pflicht aller Europäer, diesen Menschen eine Zuflucht zu bieten. Man stelle sich nur eine Minute lang vor, man wäre selbst in einer vergleichbaren Situation, hilflos, schutzlos, angewiesen auf andere. Da war der Schmerz.

Ihre Gedanken kehrten immer wieder an den Tag zurück, an dem sie zusammengebrochen war. Es ging von einer Stunde auf die nächste nichts mehr. Ihr Geist hatte seine Arbeit verweigert, ihr Kreislauf hatte sich verabschiedet und Tränen der Überforderung und Hilflosigkeit hatten sich auf ihren Wangen, dann auf ihrem Hals und schließlich auf ihrer Brust ausgebreitet, die sich so eng zusammengezogen hatte, dass sie in diesem Moment befürchtete zu ersticken.

War das normal? War das der Preis, den Menschen auf der Sonnenseite bezahlen mussten? Sie war sich sicher, sie würde auf Annehmlichkeiten verzichten, wenn endlich jemand das Hamsterrad abstellen würde. Sie war nicht naiv. Sie hatte bewusst einen Ausweg gesucht. Gespräche mit Freunden, lange Spaziergänge, Yoga, mehr Schlaf. Es half aber nicht. Sie war auf den Zusammenbruch – den Burnout, wie es die Ärzte immer korrekter Weise bezeichneten – nicht vorbereitet.

Nun waren da Scham und Versagensängste. Sie wusste, dass sie nicht die einzige war, der es so ging, das half aber nur wenig. Leistung, Leistung, Leistung! Schule, Ausbildung, Studium, gute Noten, Konkurrenzdruck, Netzwerken, gutes Aussehen, Sport treiben, ambitioniert sein, gesund uns ausdauernd, inspirierend, ein Vorbild für andere sein, ehrgeizig, fleißig, strebsam, professionell, geliebt, bewundert, geschätzt. –

Sie hatte Schluss mit ihrem Leben und den dahinter liegenden Konzepten gemacht. Es hatte weh getan sich einzugestehen, dass sie selbst ein Teil der Ursache gewesen war. Sie hatte angenommen, sie hätte immer alles richtig gemacht, ohne zu hinterfragen, was richtig war.

An ihrem Kühlschrank prangte ein Magnet. Er war schwarz und die vom Designer gewählte Schriftfarbe war weiß. Stylisch, wie so ziemlich alles in ihrer Wohnung, abgestimmte Farbkonzepte.

Das Bett, in dem sie nun lag war alt, die Matratze aber göttlich. Die Tapeten waren nicht zeitgemäß, knall bunt mit hellblauem Hintergrund und pinken Kolibris, die auf roten Blüten saßen. Sie musste lächeln. Heute wartete nichts auf sie.

Nochmal glitten ihre Gedanken zurück in ihre Küche, zum Kühlschrank, zur weißen Botschaft auf dem schwarzen Magneten:

„Relax, nothing is perfect.“

Von der Leichtigkeit des Seins

Du siehst das Licht der Welt in seinem hellen Schein,

wenn Menschen dir begegnen in ihrem vollen Sein

fernab von jedem Trug und jeder List

bahnen Wahrheit und Beständigkeit

sich ihren Weg zur Herrlichkeit –

bis hin zum Inneren der Seele, die niemals ganz vergisst,

was war und wie es hätte sein können,

in einem Leben brennender Leichtigkeit des Seins.

CDs, Zeit und Erinnerungen

Zugegeben, ich habe grad Ferien und ja, ich bin Lehrer und muss nie arbeiten. Die Leier kenne ich schon und kann dazu nur sagen: Augen auf bei der Berufswahl!

Soviel dazu. Was macht man also, wenn man zu viel Zeit hat und zu wenig Kohle, um sechs Wochen in den Urlaub zu fahren? Richtig, erst einmal NICHTS. Und zwar gar nichts. Damit bin ich jetzt nach drei Wochen fertig. Seitdem ich vor über zwei Jahren umgezogen bin, habe ich mir vorgenommen, meine Wohnung, speziell mein Wohnzimmer, umzuräumen. Verplant wie ich bin, war ich nämlich bei meinem Umzug quasi nicht zugegen und meine lieben Freunde haben die Wohnung nach gutem Wissen und Gewissen liebevoll eingerichtet und seither steht alles irgendwie an einem Platz. Aber eben nicht an seinem Platz. Daher habe ich die letzten zwei Tage mit Möbelrücken, aufräumen und ausmisten zugebracht und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Ich bin übrigens grad wahnsinnig stolz auf mich, dass ich völlig ohne Hilfe zwei Billy Regale aufgebaut habe! Check! Ein Hoch auf die Selbstständigkeit. Echt der Hammer und bis jetzt sind sie auch trotz der Last der ganzen Bücher noch nicht zusammengebrochen:).

Während des Ausmistens sind mir einige wertvolle Erinnerungen in die Hände gefallen, von denen ich mich einfach nicht trennen kann. Dazu gehören zum Beispiel eine Auswahl an CDs, die ich mir in meiner Jugend zugelegt habe. Auch wenn ich sie nicht mehr höre, weil es einfach zu bequem ist, Napster zu bemühen, sind mit der Musik so viele Emotionen und Erlebnisse verbunden, dass mein Herz ganz schwer und wehmütig wird. Es sind zum großen Teil sehr schöne Erinnerungen und es hat gut getan, sich die Zeit zu nehmen, an sie zurückzudenken. Deshalb habe ich beschlossen, einige CD-Cover an die Wand zu hängen. Dann schwelge ich in Zukunft vielleicht öfter mit dem Blick auf die Cover in Erinnerungen und kann sie so lebendig halten. Denn auch wenn ich gerade versuche, mein Leben neu zu ordnen und dazu gehört natürlich auch das Aufräumen in den eigenen vier Wänden, bleibt die Vergangenheit ein wesentlicher Teil von mir. Lernen muss ich noch, dass auch schlechte Erinnerungen, vielleicht sogar Reue, dennoch ihren oder einfach einen mahnenden Sinn inne haben. Dass das Leben kein Ponyhof ist, habe ich bereits begriffen, aber Ferien auf dem Ponyhof, darf das Leben doch sicher auch machen, oder?

Da die Zeit rennt und immer schneller vergeht, desto mehr der Alltag das Leben in Beschlag nimmt, möchte ich mit vornehmen, neue Erinnerungen in der Gegenwart zu schaffen, die besonders sind und an die ich in einigen Jahren wieder mit Herzenswärme und Sehnsucht zurückdenken kann. Ein guter Freund von mir, hat mir neulich erklärt, warum ältere Menschen immer mehr das Gefühl haben, dass die Zeit mit dem Alter schneller vergeht. Dieses Gefühl entsteht durch die Zeit selbst. Als wir Kinder waren, hat die Welt und das, was es in ihre zu entdecken gibt, einen unheimlichen Eindruck auf uns gemacht. Immer wieder haben wir Neues gesehen, erlebt und verstanden. Umso älter wir werden, desto weniger kann uns noch neu und unglaublich erscheinen. Darum bereichern wir unser Leben mit der Zeit immer weniger mit unglaublichen Entdeckungen, an die wir uns dann später erinnern können.

Darum mein Plädoyer für das „Sich-Zeit-nehmen“. Egal, was grad wichtiger zu sein scheint, egal wie stressig und anstrengend der Alltag ist. Ich sollte mir Zeit nehmen, denn dies ist die einzige Möglichkeit, neue Zeit und Erinnerungen geschenkt zu bekommen.