Let it be!

Warum fällt es uns so schwer, die Dinge auf uns zukommen zu lassen? Warum haben wir Angst vor der Zukunft? Wieso ängstigen uns die Konsequenzen, die unsere Entscheidungen nach sich ziehen? Weshalb zögern wir, wenn uns eine unüberhörbare innere Stimme sagt, was wir tun können? Warum trauen wir uns nicht das zu, was andere schon längst in uns erkannt haben? Und – warum lassen wir uns ständig verunsichern, wenn unser Gegenüber uns versucht zu suggerieren, dass unsere Überzeugungen und Einstellungen nicht der Norm entsprechen, nicht kompatibel sein sollen oder schier falsch seien?

Auf all diese Fragen gibt es zahlreiche sinnvolle Antworten. Antworten, die uns Psychologen, Coaches und Freunde geben können. Es kommt aber wie so oft nicht auf die Qualität der Antworten an, sondern auf unsere Haltung diesen gegenüber. Sind wir bereit für die Wahrheit? Und – gibt es eine objektive Wahrheit? Gibt es ein Schwarz oder Weiß? Gibt es immer ein Falsch oder Richtig? Oder existieren ausschließlich subjektive Wahrnehmungen, die manchmal zufällig kongruent sind und andernfalls meilenweit voneinander entfernt?

Mögen unsere Gedanken auch determiniert sein von unserer Lebenswirklichkeit, Konventionen, Erfahrungen und Erziehungen, wir kennen die Antworten, die wir selbst auf diese zu Anfang gestellten Fragen geben würden und vor allem kennen wir unsere persönliche Wahrheit. Wir wissen, was wir wollen, lange bevor uns das Leben die Gewissheit darüber lehrt. Also, warum warten, bis das Schicksal seinen Job macht? Wieso nicht handeln und schauen, wohin uns unsere Entscheidungen führen? Warum nicht auf uns selbst vertrauen? Was kann passieren – im worst case – wenn wir uns falsch entscheiden? Ganz ehrlich? Der größte Gegner für uns alle sind wir selbst. Wenn wir auf unsere innere Stimme hören, bleibt kein anderer Weg, als selbst gerade zu stehen, für alles, was folgt, für alles Wunderbare und für alle Fehler.

Gerade den Menschen die wir lieben, stehen wir oft besonders kritisch gegenüber. Wir wünschen uns, dass wir verstanden werden, dass unsere Bedürfnisse gewürdigt werden.  Aus einer anderen Perspektive betrachtet wünschen wir uns jedoch angenommen zu werden, wie wir sind. Wir möchten, dass unsere Grenzen akzeptiert werden und wir dennoch geschätzt werden für das, was wir sind und leisten. Wie also umgehen mit diesem offenkundigen Dilemma?

Wieder einmal kann das Englische mein Denken und Fühlen besser ausdrücken als es das Deutsche vermag:

LET IT BE!

Es ist eine Kunst als vernunftsbegabter Mensch loszulassen und keine Labels zu verteilen. Wir wollen nicht bewertet und beurteilt werden. Also sollten wir es tunlichst unterlassen, unsere Entscheidungen und unser Handeln unmittelbar zu bewerten, abzuwerten und zu beurteilen. So kann kein Raum entstehen für Veränderungen, für Überraschungen und für Schöpferkraft. Wir sind Meister darin abzuwägen und vernünftig zu sein. Wir sind demütig, wenn unsere Gesprächspartner uns, wenn auch liebevoll, klassifizieren. Das sollten wir aber nicht sein. Wir sollten wir selbst sein. Wir sollten akzeptieren, wer wir sind und dann das beste daraus machen. Wir müssen anderen nicht gefallen. Niemand kann uns zu einer besseren Version unsere selbst machen.

Niemand – nur wir selbst.

Wir wissen, welche Version unserer Selbst die Beste ist. Das sollten wir nie vergessen. Selbstvertrauen ist eine wahre Herausforderungen, weil wir uns nicht immer hundertprozentig über den Weg trauen. Wir kennen uns selbst besser, als jeder Mensch uns je kennenlernen wird. Das ist von Zeit zu Zeit eine Bürde, aber im besten Fall steckt genau darin das größte Potential unseres Lebens, wenn wir mutig genug sind, uns selbst mit allen Schwächen und Stärken anzunehmen. Auch wenn eine Reihe Fehler unsere Vergangenheit schmückt, wissen wir doch, dass es Fehler waren. Wir können Verantwortungen dafür übernehmen. Es ist menschlich, nicht perfekt zu sein. Und noch menschlicher, nicht perfekt und angepasst sein zu wollen. Im Umkehrschluss sollten wir gleiches unserem Gegenüber zugestehen.

Es ist nicht leicht, Unterschiede auszuhalten. Unterschiede entziehen sich unserer Kontrolle und wir können uns nicht mehr spiegeln, wir können uns nicht identifizieren und fühlen uns missverstanden und entfremdet. Wir können schlicht nicht nachvollziehen, was der andere denkt oder fühlt. Was vollkommen okay ist, wenn wir aufhören, darin eine potentielle Gefahr zu sehen.

Wir sind, was wir sind. Anders. Anders schön. Anders mutig, traurig, tapfer, froh, glücklich, ängstlich, liebevoll, verschlossen, offen, verliebt, verärgert, besonnen, dickköpfig, stolz, tiefsinnig, unbelastet, klug …

Was uns verbindet ist das Mensch sein, das Hier sein, dass Fühlen und Denken und vor allem schlicht das Sein.

Let it be!

 

One day baby we will be old, Part II

Sieht die Welt eigentlich anders aus, wenn man alt ist? Und was heißt eigentlich „Altsein“? Meine Oma zum Beispiel hat immer gesagt, sie sei „Mittelalt“, dabei war sie zu diesem Zeitpunkt schon über siebzig Jahre alt. Ich habe großen Respekt vor älteren Menschen. Manchmal muss ich schmunzeln, wenn ich dem Klatsch und Tratsch ältere Menschen im Bus  lausche. Von Zeit zu Zeit bin ich aber auch tief berührt, wenn ich in der Hektik des Lebens, in der vollgestopften und rüden City mit ihrem unwegsamen und überlaufendem Straßennetz Menschen beobachte, die sich tippelnd fortbewegen und mit großen, machmal auch ängstlichen Blicken das Gewusel um sie herum beobachten und aufpassen müssen, dass sie im Verkehrschaos nicht unter gehen oder einfach über den Haufen gefahren werden.

Natürlich gibt auch es regelrecht todesmutige Exemplare, die ohne nach links und rechts zu schauen einfach über die Straße laufen. Dann halte ich verdeckt hinter meinem Schal den Atem an und hoffe, dass nur sehr aufmerksame und achtsame Menschen auf den Straßen unterwegs sind und niemand verbotener Weise während des Autofahrens mit seinem Handy zu Gange ist.

Die Zeit, das Leben und die Kulissen sind im städtischen Bild durch junge, energiegeladene Artisten geprägt, die multitaskingfähig auf dem Fahrrad Termine mit dem Headset koordinieren oder philosophische Fragen erörtern, während sie sich ein Wettrennen mit dem tickenden Zeiger der Uhr leisten. Wo bleibt da der Raum fürs Älterwerden? Wo ist der Platzt für Langsamkeit, die Erinnerungen und Erfahrungen?Kann es diese Momente in der heutigen Zeit überhaupt noch geben?

Wenn ich an einem Pflegeheim vorbeilaufe, dann weiß ich, dass hinter verschlossenen Türen das Alter wartet. Es hat keine Eile, aber es wartet und bewegt sich nicht vom Fleck. Auf jeden von uns, ganz gleich wie erfolgreich wir diese Tatsache verdrängen, wartet es.

Manchmal ertappe ich mich dabei, besser gesagt frage ich mich, was meine Kinder, die nächsten Generationen von dem Leben halten werden, das wir heute führen. Ob sie dann auch milde lächeln werden? Sie werden es kaum glauben können, dass es heute noch möglich ist, Überweisungen in einen Postschlitz einer Bankfiliale zu werfen oder im Bus mit Kleingeld zu bezahlen.

Was wird sein in 30 Jahren? Was werde ich dann noch von dieser Welt verstehen? Diese Gedanken führen dann wieder zum Ausgangspunkt, dem Respekt vor den älteren Menschen heute, die ein ganz anderes Land, einen europäischen Kontinent ohne Europa und eine Welt kannten, sehr gut sogar, in der es kein Internet gab, in der das Leben analog verlief und sich der Fortschritt dennoch beständig seinen Weg bahnte.

 

Teilhabe – Freiheit, die durch die Demokratie gewährleistet wird, ist nicht kostenlos

Wir leben in einer überlebten Demokratie. Das predige ich schon lange. Predigen ist einfach. Man stellt sich vor eine Menschenmenge und spricht über die eigenen Überzeugungen und Glaubensgrundsätze. Natürlich mit der Haltung, dass das, was man zu sagen hat, richtig ist. Aus tiefstem Herzen und aus einer reflektierten Geisteshaltung heraus. Um ehrlich zu sein, ist die Menschenmenge in der Regel nicht so wahnsinnig groß. Oftmals sind es kleine, familiäre Runden, in der Kneipe, im Park oder einfach in der Bahn.

Mit dem Lenken der Aufmerksamkeit auf die vielen Aspekte, die politisch und gesellschaftlich sowie zwischenmenschlich schieflaufen, ist es allerdings mit Nichten getan. Auch wenn das Gewissen beruhigt und getröstet wird. Ausruhen ist also nicht mehr. Worte sind wichtig, Worte können Waffen sein, sie zielen genau ins Herz, bewegen Menschen und Gemüter, machen glücklich und traurig, verzaubern und verleihen der Fantasie Flügel. Sie dringen in die Köpfe der Menschen, aber sie verhallen; Es sei denn, sie stoßen auf Interesse oder Widerstand. Diskussion können heiß und scharf sein, laut und leise und ihre Früchte gehen in Gedanken über und werden vielleicht irgendwann zu Überzeugungen. Oder leiten die Gedanken zumindest auf eine Umleitungsstrecke, mit alternativen Routen und Parkbuchten, drosseln die Geschwindigkeit auf den eingefahrenen Bahnen des angehäuften und tiefverwurzelten Weltwissens und des Verständnisses der Gesellschaft, das jeder von uns besitzt.

Reicht das aus?

Worten müssen Taten folgen. Taten zählen mehr als Worte. Worte sind vergänglich. All das sind Redewendungen, die ihren Ursprung ebenfalls wie die Gefühle und Gedanken zumindest zum Teil in der Vergangenheit haben. Wir benutzen sie unbewusst, wissen aber genau, welche Aussage wir mit ihrer Hilfe tätigen wollen. Wir wollen aufrufen, wachrütteln, mahnen, appellieren und motivieren. Uns und in erster Linie andere. Wie schwer es sein kann, den Worten auch Taten folgen zu lassen, spiegeln die Gesellschaften der westlichen Welt wider. Wir wissen vieles, informieren uns, gehen wählen – im besten Fall – ärgern uns über die Nachrichten, Trump, Putin, Krieg, Missbrauch, Verletzung der Menschenrechte usw. – aber wir stehen nicht auf. Wir gehen nicht raus und schreien aus tiefster Seele, weil unser Herz aufgrund der unzähligen Verletzungen der Freiheit und der Würde des Menschen blutet. Wir bleiben sitzen. Warten. Lesen. Sprechen. – dann folgt die Bequemlichkeit. Die digitale Welt erlaubt uns eine Teilhabe an Schicksalen, Geschichten und der internationalen Politik. Wir werden nahezu zeitgleich unterrichtet über das Geschehen auf der Welt. Natürlich mit der Einschränkung, dass all diese Infos gefiltert, geschliffen, gebügelt und zu aller erst selektiert sind. Diese Tatsache blenden wir aus. Wir müssen diese Tatsache ausblenden, denn ansonsten stünden wir schreiend auf der Straße, auf dem Balkon oder aber im Garten – da bin ich sicher.

Teilhabe ist nicht Konsum. An etwas teilhaben bedeutet nicht nur Anteil nehmen, mitfühlen, sich einfühlen, gedanklich dabei sein und profitieren. Teilhabe bedeutet bis zum „Haben“ im Sinne von „Besitzen“ etwas zu tun. Sich einzusetzen, hineinzudenken, mit zu gehen, zu leiden, sich zu freuen und diese Gefühle und Emotionen mit anderen Menschen zu teilen. Teilen können wir dann, wenn wir aktiv werden, Kommunikation fördern und einen aufrichtigen und unverblümten und ungeschönten Austausch pflegen.

Der Teil mit der Aktivität überfordert die Demokraten im 21. Jahrhundert. Dieser Teil ist unbequem. Er fordert Raum, Geduld und Zeit. Die Überwindung von Vorurteilen, das Erheben über die Privilegien und Mut. Warum sollten wir auch Aufstehen und rausgehen? Wir kennen keine Not, wir leiden keinen Hunger, wir frieren nicht und leiden keinen Durst. Diese Zustände sind Abstrakta für uns. Auch wenn wir mit menschlichen Schicksalen konfrontiert werden, die genau diese Nöte erleiden, dann doch nur auf dem Papier, dem Fernseher oder dem Handy. Im digitalen Raum, in dem wir zwar immer mit einem Fuß unserer Aufmerksamkeit stehen, ihn aber wegziehen können, wenn es uns unangenehm wird. Dann treten wir auf die Straße, schauen in die Sonne und freuen uns auf den Nachhauseweg in der klimatisierten Bahn.

Fragen wir uns erneut: „Reicht es aus zu predigen?“ Nein, denn das, was es zu sagen gilt, entfaltet seine Wirkung nicht auf einer Einbahnstraße. Predigen ist leicht in einem Land, in dem die Versammlungs- und Meinungsfreiheit konstitutionell verankert sind. Niemand stört sich ernsthaft an einer Predigt, solange der Betreffende entscheiden kann, ob er zuhören möchte oder nicht, einschalten möchte oder nicht, die App öffnen möchte oder nicht. Die überlebte Demokratie in dem Land in dem wir leben, die Flüchtlinge vor der italienischen Küste, die Waisen in den Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze, die jugendlichen Opfer der Amokläufer in den USA, die bestialischen Leiden der Tiere in der Fleischindustrie, die Erderwärmung, Feinstaubbelastung usw. all das MUSS uns nicht interessieren. Das suggeriert uns das heilige digitale Zeitalter. Das Angebot an Unterhaltung und Zerstreuung ist groß. Die Pflege unserer Social Media Accounts nimmt uns in Beschlag in den kurzen Pausen, die unser arbeitsreicher Alltag uns lässt und der Stress, gegen den wir in unserem engen Zeitplan noch die Yoga-Stunde packen, schnürt uns die Luft ab. Individualität kostet Zeit.

Wir haben scheinbar vergessen, was Demokratie eigentlich bedeutet. Nicht nur der ideelle Wert dieser Staatsform in Sinne von Geschenk, das Dankbarkeit erzeugen sollte. Auch im wortgeschichtlichen Sinne. „demos“ bedeutet „Volk“ und „kratie“ bedeutet „Macht“. Wir gebrauchen unsere konstitutionell verliehene Macht dazu, unser Instagramprofil zu pimpen, mehr Geld zu verdienen, um es in Konsumgüter zu investieren und uns selbst als unabhängig zu feiern. So funktioniert die Geschichte mit der Macht allerdings nicht. Macht bedeutet Verantwortung. Und im politischen Sinne meint Verantwortung immer auch soziale Verantwortung. Teilzuhaben an der Gesellschaft. Als aktives Mitglied. Das ist keine Empfehlung, sondern eine Pflicht.

Freiheit, die durch die Demokratie gewährleistet wird, ist nicht kostenlos. Nicht nur unsere persönliche Freiheit ist Teil der Abmachung, sondern auch die aktive Gestaltung und die Übernahme von Verantwortung innerhalb unserer Gesellschaft. Teilhabe am Gesellschaftsleben ist der Preis, den es zu investieren gilt und der eigentliche Sinn, das erstrebte Ergebnis aller Freiheitskämpfe der letzten Jahrhunderte. In der französischen Revolution ging es nicht darum, das Leben im privaten Raum zu verteidigen, sondern für politische Mitbestimmung und das Recht auf Mitgestaltung des öffentlichen Raums auf die Straße zu gehen. Diese Errungenschaft ist uns lästig. Deshalb habe ich das Gefühl, dass wir die Demokratie satthaben – also überlebt haben. Wir haben buchstäblich die Schnauze voll. Richten uns ein in unserem beheizten Schneckenhaus, lassen uns von Amazon und Foodora beliefern und feiern den Fortschritt. Hoffentlich werden wir nicht irgendwann überrollt und müssen aus den Scherben unseres Schneckenhauses Neues schaffen, was uns neugeborene Nackte schützt und bewahrt vor allem Unheil. –

Oder wir fangen wieder an uns für die Welt zu interessieren, durch die wir leben dürfen.

https://www.dtv.de/buch/hannah-arendt-die-freiheit-frei-zu-sein-14651/

One’s destination is never a place, but a new way of seeing things

 

Ganz schön okay?! Sagt Casper. Ich hab viel zu erzählen, schön dich zu sehen, auf einen Schnaps oder zehn! Es ist so schön, Erlebnisse und Erfahrungen mit Freunden zu teilen. Noch einmal in Gedanken durch den weißen Sand von Bali laufen, noch einmal einen Blick auf den Mount Everest werfen und spüren, wie sich der Wind angefühlt, wie die Sonne die Haut und die Seele gewärmt hat.

Freie Zeit ist das kostbarste Geschenk, das man bekommen kann. Lebenszeit, die wir anderen widmen, ist das größte Geschenk, das wir machen können. Die letzten drei Wochen waren angefüllt mit vielen besonderen Momenten und Erlebnissen. Was bleibt ist für das Jetzt die Freude über die Auszeit, die Eindrücke, die wir sammeln dürften und die Freude darüber, dass sich Menschen am anderen Ende der Welt Zeit für uns genommen haben, um uns ihre ganz persönliches Leben zu zeigen. Wir haben eine neue Welt kennengelernt, über die wir stets gedacht haben, alles zu wissen, weil sie uns aus Web, Film und Fernsehen so trügerisch vertraut und bekannt vorkommt. Wir als Deutsche und alle Bewohner der westlichen Welt eifern von Kindesbeinen – ob bewusst oder unbewusst – der erfolgreichsten und einflussreichsten Nation der Welt nach – Amerika.

Was aber passiert, wenn man nach Texas reist, um Amerika kennenzulernen? Richtig, man lernt Menschen in La Grange kennen, ein kleines, weitläufiges Örtchen im Südosten Texas, die mit Stolz und aus Spaß an der Freude Cowboyhüte im Supermarkt zum Einkaufen tragen, das Oktoberfest feiern, weil sich ursprünglich im 18. Jahrhundert deutsche und tschechische Siedler auf diesem wirklich wunderschönen Flecken Erde niedergelassen haben und klischeemäßig verrückt nach Country-Musik sind.

Ein stolzer, eigenständiger und zutiefst eigensinniger Staat, der als einziger unter 51 Staaten in den USA seine Flagge auf gleicher Höhe neben der US-Flagge hissen darf, ohne skrupelhaft oder respektlos zu sein. Der einzige Staat, der rechtlich und geographisch eigenständig zwischen Mexiko und der USA existiert hat und nicht auch nur ein kleines Stück dieses Kampfgeistes bis heute eingebüßt hat. Aus dieser Geisteshaltung heraus lässt sich vielleicht besser verstehen, warum gerade die Menschen in Texas ihre Freiheit und Unabhängigkeit mit Waffen verteidigen wollen, deren Besitzrecht ironisches Weise ein Symbol für die durch die Verfassung garantierte Freiheit der amerikanischen Bürger ist. Freiheit erschafft Vielfalt. Egal wo Mann oder Frau in Texas steht und sich um die eigene Achse dreht, es gerät mindestens eine Kirche ins Blickfeld. Menschen tragen große und kleine sowie bunte und schlichte Kreuze als Kettenanhänger und plakatieren Werbeflächen mit religiösen Slogans wie „Jesus loves you.“ Welcher Kirche man angehört, spielt eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist, dass alle Nachbarn wissen, dass man sonntags zum Gottesdienst geht bzw. fährt, denn zu Fuß gehen kennen und können die Amis nicht . Deshalb sind auch die Gartenzäune in Texas keine Holzbarrikaden wie bei uns, sondern Maschendrahtzäune. Es wird geteilt, was mein Gegenüber wissen soll und das so lautstark und innig wie möglich. Schwierig wird es beim Thema Vertrauen. Die durchschaubaren Zäune werden in aller Regel von Hunden bewacht oder sind mit Kameraanlagen gesichert. Die offenen Grundstücke brauchen keine Mauern, denn ihre Bewohner dürfen ihr Hab und Gut mit Waffengewalt verteidigen. Was passiert also, wenn ich meinem Nachbarn oder gar einem fremden den Rücken kehre? Ich wiege mich in der Gewissheit, mich im Notfall verteidigen zu können. Leider leben die Texaner aber auch in dem Wahn, sich vor Unheil und Gefahr verteidigen zu müssen. Da ist es egal, ob man Hobbyschütze ist oder nicht, ob man Patriot oder Demokrat ist.

Texaner sagen, nicht Waffen töten Menschen, sondern Menschen töten Menschen. Ein Totschlag-Argument, was faktisch nicht von der Hand zu weisen ist. Was bleibt, ist ein ständiger Verdacht oder ein unterschwelliges Misstrauen. Gegen jeden Fremden, egal ob Amerikaner oder nicht. Demgegenüber steht eine offenherzige und authentische Gastfreundschaft sowie das Interesse an anderen Kulturen und Nationen. Es liegt stets eine gewisse Neugier in der Luft und wenn ein Gespräch Fahrt aufgenommen hat, rettet sich der Befragte allenfalls noch auf ein durchlöchertes Rettungsboot der typisch deutschen Zurückhaltung. Es gibt keine Tabu-Themen, die Amis wollen alles wissen und alles verstehen. Hier weilt das Gefühl der Vertrautheit ganz kurz. Minuten später jedoch oder spätestens beim Abschied am späteren Abend wird sich erneut der für deutsche Verhältnisse völlig überzogenen und viel zu überschwänglichen sowie oberflächlichen Abschiedsworte bedient, die viel verheißen, aber mehr Schall und Rauch sind als echte Sympathiebekenntnisse.

 

Amerika – ein Land voller Gegensätze. Was ganz schön okay ist, wenn man akzeptiert, dass man als Besucher nicht die Aufgabe hat, diese Gegensätze aufzulösen, sondern sie anzunehmen, zu verstehen und dann zu bewerten. Zum Abschied vor dem gelb-schwarzen Schulbus habe ich den Satz gehört: „Schön, dass ich so viel von dir lernen konnte.“ Wer ihn gesagt hat, weiß ich nicht, macht aber gar nichts, denn die Botschaft ist universell!

Viele Gesichter

„Irgendwas, das bleibt!“ ist gerade ein Song, der mich zum Nachdenken bringt. Denn er beschäftigt sich unverhohlen mit unserer Generation und trifft damit auch mich und mein Leben mitten ins Herz. Und das ist gar nicht so einfach zuzugeben, wie es auf den ersten Blick scheint, denn schließlich geht es darum, dass wir immer mehr wollen und nie zufrieden sein können mit dem, was wir haben und alle stets auf der Suche sind. Darum auch die Beteuerung des Wunsches nach jemandem oder etwas, das bleibt.

Das Streben nach Glückseligkeit, nach Zufriedenheit gestaltet sich sicher schwierig, wenn wir gar nicht (mehr) wissen, wonach wir eigentlich suchen. Wir sind alle in einer Welt aufgewachsen, die uns alles geboten hat, wovon Menschen träumen dürfen: Wohlstand, Frieden und Sicherheit sowie die Aussicht darauf, dass alles möglich ist. Egal ob wir in den Bereich der Innovation in Technik und Wissenschaft schauen oder aber in den persönlichen, kreativen Bereich und dort einen Blick auf Lebensmodelle und Lebensvorstellungen werfen oder aber auf das so hoch gelobte und geachtete Projekt namens Selbstverwirklichung. Alle Türen stehen uns offen. Doch was bleibt am Ende? Diese Frage ist eine der ersten Fragen, die gestellt wird, wenn es um den Sinn des Lebens geht. Um das, was wir hinterlassen und auf das wir am Ende unserer Tage zurückblicken können. Der betreffende Maßstab ist in der Postmoderne etwas aus den Fugen geraten. Es sind nicht mehr Tugenden wie Fleiß, Treue oder Selbstlosigkeit, die uns glauben machen können, dass wir ein gutes und sinnvolles Leben geführt haben. Ganz im Gegenteil. Es ist das sich Widersetzen gegen Autoritäten und Systeme, gegen Tradition und Reaktionismus. Es handelt sich, wie so häufig, um das rebellische Aufbegehren gegen die Generation der Eltern. Also ist das, was wir, die wir Anfang oder auch Mitte dreißig sind, als Errungenschaft betrachten oder aber als Sieg über Feminismus, gesellschaftliche Konventionen und menschliche Grenzen gar nicht so neu und noch nie dagewesen, wie wir das vielleicht gerne hätten.

Im Gegenteil, es handelt sich um den Gang der Dinge, um den Lauf der Geschichte, schlicht, um einen Generationenwechsel, der sich in diesen soziologischen Verhaltensmustern manifestiert. Das ändert natürlich auf der anderen Seite nichts an unserem Lebensgefühl, das sich durch Individualismus und Freiheit sowie Ungebundenheit auszeichnet.

Jetzt komme ich langsam zum Punkt. Ich persönlich halte ja wenig von Stigmata, egal in welchem Bereich. Darum amüsiere ich mich auch stillschweigend über das viel diskutierte Etikett „beziehunsgunfähig“, das unserer Generation so gerne zugeschrieben wird. Woher dieses generalisierte Unvermögen kommt, habe ich gerade schon beschrieben. Wir haben uns frei gemacht von allen gesellschaftlichen Grenzen und Zwängen. Das ist einerseits gut und andererseits schlecht. Diese Entwicklung war wichtig, weil sie uns den Perspektivwechsel erleichtert und wir so im Stande sind, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und jegliche andere Art der Diffamierung vermeintlich anormaler Menschen oder Minderheiten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Damit haben wir in Punkto Menschlichkeit einen großen Schritt gemacht.

Aber der Schein trügt. In den letzten Jahren haben sich nämlich die Rahmenbedingungen unseres Lebens stark geändert. Wir erliegen nun nicht mehr der Fehlannahme, dass Sicherheit und Frieden selbstverständlich und gegeben sind. Wieder ganz im Gegenteil, wir erleben gerade ein böses Erwachen. Ich könnte jetzt auf zahlreiche innen- und außenpolitische Ereignisse und Gegebenheiten hinweisen, auf die ich mir hier beziehe, aber ich denke, jeder weiß, dass wir sehenden Auges zulassen, dass die Menschenrechte und die Demokratie, für die Generationen von Menschen vor uns gekämpft und ihr Leben gelassen haben, stillschweigend untergehen.

Wir haben uns also auf gesellschaftlicher Ebene frei gekämpft von der Last der Erwartungen und Konventionen, damit WIR wir selbst sein können. Aber in einer Zeit, in der die Welt erneut ins Wanken gerät, brauchen wir, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, Strukturen und Muster sowie Anhaltspunkte, die uns Halt geben. Ergo wir brauchen Orientierung. Wer oder was liefert Orientierung: Tradition, Autoritäten, Erfahrung und Geschichte. Alles Dinge, die wir aus unserem Alltag und unserer Selbstbestimmung verbannt haben.

Also: Was bleibt am Ende? Vielleicht müssen wir die Frage anders stellen. Was bleibt für den Anfang? Wir suchen nach Sinn und Orientierung, wir suchen nach etwas, das uns Halt gibt. Eventuell sollten wir unsere Eltern oder Großeltern fragen, was sie bewirkt haben, als sie unsere Welt wieder zu einer sicheren Welt gemacht und aufgebaut haben, was wir mit einer Handbewegung milde lächelnd wegwischen. Denn unsere Unabhängigkeit und unsere Toleranz kommen nicht von ungefähr. Es war vermutlich harte Arbeit, die Gesellschaft zu schaffen, die wir heute Heimat nennen.

Wir stehen vor riesigen Herausforderungen und auch ich habe keine Ahnung, wie man ihnen am besten begegnet. Aber eines ist für mich klar. Wir haben jetzt die Aufgabe, dieses „Irgendwas“ zu definieren. Wir müssen uns gemeinsam darüber Gedanken machen, wie die Welt aussehen soll, in der wir alle zusammen unser selbstbestimmtes Leben führen wollen.